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Nohs spürte es jetzt auch. Je weiter sie liefen, desto deutlicher wusste er, dass sich etwas geändert hatte. Mutter Redna spannte all ihre Sinne an. Wehrte sich gegen die Eindringlinge. In ihm stieg ein seltsames Gefühl auf. Eine Mischung aus Sorge um die Mutter und dem Stolz, zu denen zu gehören, die sie ein für allemal erretten würden. Als habe sie ihn erhört, spürte er mit jedem Mal, da er einen seiner Füße auf die Erde Rednas setzte, wie ihre Kraft in ihn floss. Fast flog er nun. Flog mit den anderen Jägern. Flog, wie einst Nomad geflogen war. Der Weg war noch weit. Doch Nohs würde nicht eher ruhen, bis keiner der Eindringlinge mehr Mutter Redna etwas antun konnte. Bis sie bereit waren für die Zeremonie!
Die Stätte von Lednah. Tom wiederholte den Namen, den Mona genannt hatte, in Gedanken ein paar Mal. Ein Ziel, das sie erreichen mussten, wollten sie überleben. Lisa, die erneut vor ihm ging, drehte sich immer wieder um. Sinnlos. Ihre Verfolger verstanden es, sich zu tarnen. Nicht einmal der Schatten eines Schattens war im Urwald links und rechts des Weges zu erhaschen. Dabei hatte Tom den Eindruck, dass die Reldnah es durchaus darauf anlegten, ihre Präsenz spürbar zu machen. So wuchs der Druck, keinen Fehler zu begehen. Er konnte nur hoffen, dass Mona ihre Hausaufgaben wirklich gut gemacht hatte. Sollten sie vom direkten Weg zur Stätte abkommen, würden sie zu Freiwild werden. Dann würden dieselben Waffen, die sie sich von den Reldnah erhofften, um ihr Leben zu verteidigen, ihren Tod bedeuten.
Lisa trottete Mona hinterher. Sie wäre am liebsten in dieser verdammten Höhle sitzen geblieben, in der sie wieder zu sich gekommen waren. Tom, dessen stampfenden Schritte ihr einen monotonen Rückhalt gaben, hatte eine ganze Weile auf sie eingeredet, dann war ihre ätzende Führerin dazwischen gegangen und hatte rumgezickt. „Soll sie doch bleiben, wo sie ist“, hatte sie gesagt. „Es wird sich schon irgendjemand oder irgendetwas um sie kümmern.“
Sie hasste diese Frau.
Tom dagegen schien es Mona nicht einmal übelzunehmen, dass sie sie in dieses verflixte Land geschleppt hatte. Redan oder wie immer es hieß. Sie drehte sich im Laufen um. Der hatte echt einen Knall. Der lief durch die Landschaft, als wären sie auf einer Urlaubssafari. Gut, anfangs hatte sie auch gestaunt. Das Grün hoher Gräser, das den schmalen Weg säumte, erhielt verschiedenste Farbtupfer durch seltsam geformte Blüten. Ab und an konnte man einen Blick in tiefer gelegene Regionen werfen. Dort erstreckte sich offenbar ein Wald, die Kronen der Bäume von bläulichen Nebeln umflossen. Das sah schon alles toll aus und man kam sich tatsächlich vor, als streife man durch unbewohnte Gegenden Afrikas. Oder vielleicht Südamerikas. Sie war da nicht so bewandert. Aber in ihrer Situation konnte sie dem auf Dauer wenig abgewinnen. Vor allem, weil sie schon seit Stunden durch diese Gegend liefen. Immerhin ging es bergab.
„Kennst du dich hier aus?“ Hoffentlich blieb Mona stehen, um die Frage zu beantworten.
„Nein.“ Sie lief nicht einmal langsamer.
„Wo wollen wir dann eigentlich hin?“
„Wir brauchen Waffen.“
„Waffen? Wozu brauchen wir Waffen?“ Lisas Herz klopfte gleich ein bisschen schneller.
„Weil wir keine haben.“
Tolle Antwort. Mit dieser Person wollte sie nicht einmal in einem gemütlichen Café zusammen am Tisch sitzen. Wie lange würde sie sie wohl noch ertragen müssen? „Du hattest doch eine Pistole.“
„Man kann keine Waffen mit nach Redna bringen.“
Der anhaltende Ärger über diese Person machte es ihr nicht leicht, sich auf den Kern der Sache zu fokussieren. Sie hatte Hunger, die Füße taten ihr weh und nun schien nichts dringlicher, als sich zu bewaffnen? „Sind wir denn hier in solcher Gefahr? Ich dachte, du wolltest uns in Sicherheit bringen. Wozu also die Waffen?“
Mona antwortete nicht. Tom sprang für sie ein: „Wahrscheinlich für den Fall, dass Boss und ihre Männer uns folgen.“
Lisa wartete noch einen Moment. Nicht mal zu einem Nicken oder Kopfschütteln bequemte sich diese Frau. „Hey!“ Sie stieß Mona in den Rücken. „Ist das so?“
Mona blieb nicht stehen. „Boss ist erst einmal unser kleinstes Problem.“
„Sie sind weg, Boss!“
Noch immer verspürte Karl ein wenig Groll, wenn einer seiner Jungs ihn fast schon ignorierte, sobald seine Frau anwesend war. Aber er konnte nichts dagegen unternehmen. Er war nur so lange der Chef, solange Brigitte nicht in der Nähe war. Einer der führenden Köpfe des Ordens und doch nur ein Pantoffelheld.
„Sie hat Tsieg benutzt!“, erklärte sie jetzt.
„Was sollen wir tun?“ Claudia ersparte es ihm, selbst nachzufragen.
„Wir werden Nomad benutzen!“
Brigittes Stimme ließ in keinster Weise einen Widerspruch zu. Dennoch konnte er sich nicht zurückhalten. „Bist du … Wenn wir keinen Erfolg haben, kommen wir nie mehr zurück!“
Er duckte sich, doch Brigitte blieb ganz ruhig. „Dann müssen wir eben Erfolg haben!“
Tilo öffnete die Tür. Ganz langsam und vorsichtig, dennoch konnte er ein Knarren nicht vermeiden. Erstaunlich, dass es in dem Gebäude überhaupt noch Türen gab, die sich schließen ließen. Noch einmal atmete er tief ein. Dann schob er sich vorsichtig hinein.
Drinnen war es still. Still und dunkel. Nicht gerade stockduster, aber durch die kleinen Milchglasfenster bekam das Wort „Morgengrauen“ eine ganz eigene Bedeutung.
Noch könnte er umkehren. Doch er machte einen leisen Schritt vorwärts. Er lauschte. Nichts. Einen zweiten Schritt. Immer noch nichts. Der dritte Schritt war schon etwas beherzter. Beim vierten stolperte er über irgendetwas am Boden. Er konnte sich gerade noch fangen. Tilo kniete sich hin und tastete nach dem Hindernis. Etwas Großes in einem festen, kalten Stoff. Leder vielleicht. Eine Jacke.
Tilo sprang auf und schrie. Er wollte davonlaufen, doch dazu hätte er über den leblosen Körper springen müssen. War er wirklich leblos? Tilo holte tief Luft und wollte wieder schreien. Da hörte er den Wagen, der den Weg heraufkam.
Zum Anfang
Tilo öffnete die Tür. Ganz langsam und vorsichtig, dennoch konnte er ein Knarren nicht vermeiden. Erstaunlich, dass es in dem Gebäude überhaupt noch Türen gab, die sich schließen ließen. Noch einmal atmete er tief ein. Dann schob er sich vorsichtig durch die Tür.
Drinnen war es still. Still und dunkel. Nicht gerade stockduster, aber durch die kleinen Milchglasfenster bekam das Wort „Morgengrauen“ eine ganz eigene Bedeutung.
Noch könnte er umkehren. Doch er machte einen leisen Schritt vorwärts. Er lauschte. Nichts. Einen zweiten Schritt. Immer noch nichts. Der dritte Schritt war schon etwas beherzter. Beim vierten stolperte er über irgendetwas am Boden. Er konnte sich noch fangen, kniete sich hin und tastete nach dem Hindernis. Etwas großes in einem festen, kalten Stoff. Leder vielleicht. Eine Jacke.
Tilo sprang auf und schrie. Er wollte davonlaufen, doch dazu hätte er über den leblosen Körper springen müssen. War er wirklich leblos? Tilo holte tief Luft und wollte wieder schreien. Da hörte er den Wagen, der den Weg heraufkam.Tilo öffnete die Tür. Ganz langsam und vorsichtig, dennoch konnte er ein Knarren nicht vermeiden. Erstaunlich, dass es in dem Gebäude überhaupt noch Türen gab, die sich schließen ließen. Noch einmal atmete er tief ein. Dann schob er sich vorsichtig durch die Tür.
Drinnen war es still. Still und dunkel. Nicht gerade stockduster, aber durch die kleinen Milchglasfenster bekam das Wort „Morgengrauen“ eine ganz eigene Bedeutung.
Noch könnte er umkehren. Doch er machte einen leisen Schritt vorwärts. Er lauschte. Nichts. Einen zweiten Schritt. Immer noch nichts. Der dritte Schritt war schon etwas beherzter. Beim vierten stolperte er über irgendetwas am Boden. Er konnte sich noch fangen, kniete sich hin und tastete nach dem Hindernis. Etwas großes in einem festen, kalten Stoff. Leder vielleicht. Eine Jacke.
Tilo sprang auf und schrie. Er wollte davonlaufen, doch dazu hätte er über den leblosen Körper springen müssen. War er wirklich leblos? Tilo holte tief Luft und wollte wieder schreien. Da hörte er den Wagen, der den Weg heraufkam.
Tilo zögerte noch einen Moment, dann öffnete er vorsichtig die Haustür und spähte hinaus. Alles war still. Natürlich. Er hatte beinahe eine Viertelstunde gewartet, nachdem das Motorengeräusch von Papas Audi verklungen war, wobei er die ganze Zeit in seinem Zimmer auf und ab gegangen war, hin und her überlegt hatte, ob er wirklich auf die Straße gehen sollte. Aber was konnte jetzt noch passieren? Und er wollte unbedingt herausfinden, was das komische Paar in dem alten Lagerhaus getrieben hatte. Hier, am äußersten Ende der Stadt.
Er schaute sich nach allen Seiten um, als er die schmale Straße überquerte. Eine leichte morgendliche Brise wehte den Duft und die Stille des Waldes herüber. Er wählte die rechte der beiden Spurrillen, die den Weg zum Lagerhaus darstellten und durch die ungemähte Wiese führten. Von der Straße waren es etwa hundert Meter. Vielleicht hundertfünfzig. Aber während er sich von den beiden Straßenlaternen fortbewegte, überkam ihn mehr und mehr das Gefühl, er breche in ein fremdes Universum auf. Erst ein Mal war er diesen Weg gegangen, seit sie hierhergezogen waren. Im Licht der Nachmittagssonne. Bis zur Hälfte des Wegs hatte er sich getraut. Jetzt pochte ihm das Herz noch mehr als damals.
Aber dieses eine Mal würde er auch im Real Life ein Abenteuer bestehen! Er wagte einen Blick auf sein Ziel. Er konnte sich selbst nicht erklären, was an diesem Gebäude ihm so viel Furcht einflößte. Es war nur ein hässlicher großer Kasten. An der Ostseite zu einem großen Teil eingestürzt. Die Außenwände unregelmäßig mit rankenden Pflanzen bewachsen. Rückeroberung durch die Natur. Vielleicht war es dieser Eindruck von Wildheit. Vielleicht aber auch die Erzählungen von dem alten Herrn Faun aus der Nachbarwohnung. Als Tilo ihn über die Ruine ausgefragt hatte, hatten einige Sätze seine Fantasie besonders angeregt.
„Das alte Ding steht schon seit vielen, vielen Jahren dort und wird wohl immer da stehen bleiben. Schon in meiner frühen Kindheit, vor fast siebzig Jahren, stand es leer und stürzte an der Ostseite in sich zusammen. Einige Verfolgte hatten sich dort versteckt. Aber kurz vor dem Ende des Krieges fand man sie.“
„Was hat man mit ihnen gemacht?“, fragte Tilo, der an die Schwarzen Reiter aus Mittelerde denken musste.
„Es ist besser, das nicht zu wissen, glaube ich. Jedenfalls sollte es direkt nach dem Krieg abgerissen werden. Zum ersten Mal. Und danach immer wieder. Jedes mal hieß es, nun sei es endlich so weit. Und jedes Mal kam im letzten Moment irgendetwas dazwischen. Und so wird es wohl bis ans Ende der Zeit gehen. Denn zwar scheint es, als müsste das Ding sowieso bald in sich zusammenfallen, aber ich bin mir sicher, dass es sogar einem Orkan widerstehen würde.“
Tilo blieb stehen. Noch zwanzig Meter. Er sollte umkehren. Was konnte es da schon Interessantes geben? Nur weil da eine Agentin, die das Auto seines Vaters gestohlen hatte, mit irgendeinem Angsthasen hergekommen war?
Er drehte um. Setzte einen Fuß vor den anderen, immer schneller, bis er zu laufen begann. In seinem Kopf wandelte sich die Agentin zur Amazonenkriegerin. Dazu bedurfte es nicht viel. Ein Schwert und ein bisschen freizügigere Kleidung. Sie stand auf einem großen Felsen und der Wind spielte in ihrem roten Haar. Mit ihren grünen Augen visierte sie ihn. Tilo hatte ihre Augenfarbe aus der Entfernung natürlich nicht erkennen können, aber er war sich sicher, dass sie grün waren. Auf ihren Lippen zeigte sich ein Lächeln. Sie lächelte ihn an. Wollte sie ihm Mut zusprechen? Oder …? Er ahnte, wie schnell aus dem warmen Lächeln ein kaltes Lachen werden konnte.
Als hätte jemand die Zügel gezogen, kam Tilo zum Stehen.
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