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Sie griffen an. Ohne Gebrüll. Und ohne Eile. Das Schweigen der Angreifer ließ sie noch schrecklicher erscheinen. Die Ruhe, mit der sie sich näherten, strahlte die Macht absoluter Überlegenheit aus. Zu Recht. Tom und seine zwei Begleiterinnen hätten vermutlich selbst dann keine Chance gegen diese Übermacht gehabt, wären sie bis an die Zähne mit Schusswaffen ausgestattet gewesen. Er schätzte, dass jeder von ihnen es mit mindestens 30 Gegnern zu tun hätte, falls diese überhaupt alle zum Zuge kämen. Wie lächerlich kam er sich vor, jetzt, da er sich vor Mona und Lisa aufbaute, als könne er sie in dieser Weise beschützen.
Unter der Stätte von Lednah hatte sich Tom etwas anderes vorgestellt. Einen Tempel. Wenigstens einen Altar. Götzenbilder waren ihm durch den Kopf geschlichen. Doch jetzt standen sie einfach nur auf einer kreisrunden Lichtung. Nicht einmal die Ahnung irgendeines menschlichen Eingreifens fand sich hier. Das machte die Sache dann doch ein wenig gespenstisch, denn die Lichtung bildete einen so perfekten Kreis, als habe sie jemand mit dem Zirkel gezogen. Seltsamer jedoch war noch, dass nicht erkennbar war, wie die Lichtung entstanden war. Es gab keine Baumstümpfe. Nicht einmal ein Strauch schien sich über die unsichtbare Grenze zu wagen, über die die randständigen Bäume nicht die kleinste Wurzel schickten.
Zwischen den hellen Stämmen zeigten sich jetzt ihre Verfolger. Sie tauchten aus den Schatten auf, als seien sie dort selbst gerade erst dem Boden entwachsen. Und wunderlicherweise war ihre Haut von derselben hellen Farbe wie die Stämme der Bäume. Dass sie sich bis dahin ihren Blicken entzogen hatten, schien ihm beinahe unmöglich, denn sie trugen keine Kleidung, die einer Tarnung hätte dienen können. Eine Art überlanger Lendenschurz setzte sich farblich kaum von den nackten Oberkörpern und Beinen ab. Kein Schmuck zierte die kleinen, aber gedrungenen Körper dieser Menschen, weder die der Männer noch die der Frauen. Frauen! Bei diesem Volk schien das Geschlecht im Kampf keine Rolle zu spielen. Jedenfalls schauten die Kriegerinnen nicht weniger grimmig als die Krieger. Und sie trugen die gleichen schrecklichen Waffen!
Die Stätte von Lednah. Tom wiederholte den Namen, den Mona genannt hatte, in Gedanken ein paar Mal. Ein Ziel, das sie erreichen mussten, wollten sie überleben. Lisa, die erneut vor ihm ging, drehte sich immer wieder um. Sinnlos. Ihre Verfolger verstanden es, sich zu tarnen. Nicht einmal der Schatten eines Schattens war im Urwald links und rechts des Weges zu erhaschen. Dabei hatte Tom den Eindruck, dass die Reldnah es durchaus darauf anlegten, ihre Präsenz spürbar zu machen. So wuchs der Druck, keinen Fehler zu begehen. Er konnte nur hoffen, dass Mona ihre Hausaufgaben wirklich gut gemacht hatte. Sollten sie vom direkten Weg zur Stätte abkommen, würden sie zu Freiwild werden. Dann würden dieselben Waffen, die sie sich von den Reldnah erhofften, um ihr Leben zu verteidigen, ihren Tod bedeuten.
Lisa trottete Mona hinterher. Sie wäre am liebsten in dieser verdammten Höhle sitzen geblieben, in der sie wieder zu sich gekommen waren. Tom, dessen stampfenden Schritte ihr einen monotonen Rückhalt gaben, hatte eine ganze Weile auf sie eingeredet, dann war ihre ätzende Führerin dazwischen gegangen und hatte rumgezickt. „Soll sie doch bleiben, wo sie ist“, hatte sie gesagt. „Es wird sich schon irgendjemand oder irgendetwas um sie kümmern.“
Sie hasste diese Frau.
Tom dagegen schien es Mona nicht einmal übelzunehmen, dass sie sie in dieses verflixte Land geschleppt hatte. Redan oder wie immer es hieß. Sie drehte sich im Laufen um. Der hatte echt einen Knall. Der lief durch die Landschaft, als wären sie auf einer Urlaubssafari. Gut, anfangs hatte sie auch gestaunt. Das Grün hoher Gräser, das den schmalen Weg säumte, erhielt verschiedenste Farbtupfer durch seltsam geformte Blüten. Ab und an konnte man einen Blick in tiefer gelegene Regionen werfen. Dort erstreckte sich offenbar ein Wald, die Kronen der Bäume von bläulichen Nebeln umflossen. Das sah schon alles toll aus und man kam sich tatsächlich vor, als streife man durch unbewohnte Gegenden Afrikas. Oder vielleicht Südamerikas. Sie war da nicht so bewandert. Aber in ihrer Situation konnte sie dem auf Dauer wenig abgewinnen. Vor allem, weil sie schon seit Stunden durch diese Gegend liefen. Immerhin ging es bergab.
„Kennst du dich hier aus?“ Hoffentlich blieb Mona stehen, um die Frage zu beantworten.
„Nein.“ Sie lief nicht einmal langsamer.
„Wo wollen wir dann eigentlich hin?“
„Wir brauchen Waffen.“
„Waffen? Wozu brauchen wir Waffen?“ Lisas Herz klopfte gleich ein bisschen schneller.
„Weil wir keine haben.“
Tolle Antwort. Mit dieser Person wollte sie nicht einmal in einem gemütlichen Café zusammen am Tisch sitzen. Wie lange würde sie sie wohl noch ertragen müssen? „Du hattest doch eine Pistole.“
„Man kann keine Waffen mit nach Redna bringen.“
Der anhaltende Ärger über diese Person machte es ihr nicht leicht, sich auf den Kern der Sache zu fokussieren. Sie hatte Hunger, die Füße taten ihr weh und nun schien nichts dringlicher, als sich zu bewaffnen? „Sind wir denn hier in solcher Gefahr? Ich dachte, du wolltest uns in Sicherheit bringen. Wozu also die Waffen?“
Mona antwortete nicht. Tom sprang für sie ein: „Wahrscheinlich für den Fall, dass Boss und ihre Männer uns folgen.“
Lisa wartete noch einen Moment. Nicht mal zu einem Nicken oder Kopfschütteln bequemte sich diese Frau. „Hey!“ Sie stieß Mona in den Rücken. „Ist das so?“
Mona blieb nicht stehen. „Boss ist erst einmal unser kleinstes Problem.“